Politisches Vertrauen

Am 24. Mai 1989 hielt der von mir sehr geschätzte Richard von Weizsäcker in seiner Funktion als Bundespräsident eine Rede zum vierzigjährigen Bestehen des Grundgesetzes. Die komplette Rede kann man hier nachlesen. Interessant sind seine Aussagen zu dem Verhältnis zwischen Politik und den Bürgern und die Rolle der Verfassung dabei.

„Es entstand eine parlamentarische Demokratie westlicher Prägung, mit unantastbaren und einklagbaren Grundrechten und mit einer starken Exekutive. Alle staatliche Gewalt wurde in klare verfassungsmäßige Schranken verwiesen, alle politische Macht unter der Obhut des neugeschaffenen Bun­desverfassungsgerichts rechtsstaatlich gebändigt. Das Grundgesetz, von Politikern geschaffen, setzt höheres Ver­trauen in das Recht als in die Politik.

So konnte sich das Verhältnis der Bürger zum Staat ent­scheidend wandeln. Fast ein Jahrhundert lang hatte der Staat die Kraft seiner Bürger und in den Kriegen ihr Leben einge­setzt, um selbst an Macht und Größe zu wachsen. Nun sollte der Staat nicht mehr wie bisher über den Bürger ver­fügen können, sondern er wurde zum Schutz der Rechte des einzel­nen verpflichtet. Der Rechtsstaat wurde zur Rechtsge­mein­schaft, zur Einrichtung der Bürger füreinander.

Auf das Verlangen der Menschen nach gesicherter Freiheit gab das Grundgesetz überzeugende Antworten. In der Bevölke­rung erwärmte sich daher ihr Verhältnis zur neuen Verfas­sung sehr rasch. Ihre innere Beziehung zur Bundesrepublik als einem neuen deutschen Staat wuchs dagegen erst allmäh­lich hinterher.“

Das Vertrauen in die Politik steht also hinter dem Vertrauen in das Grundgesetz zurück. Der staatlichen Gewalt wurden Grenzen durch die Verfassung gesetzt und der Staat bekam die Aufgabe die Rechte des einzelnen und das Verlangen nach gesicherter Freiheit zu schützen.

In diesem Jahr erleben wir eine massive Einschränkung von Grundrechten. Es gibt politische Entscheidungen, die nicht rechtskonform und teilweise willkürlich sind. Einige Urteile wurden bereits gefällt, hierzu zählen zum Beispiel:

Auch in anderen Ländern haben Gerichte inzwischen die Einschränkungen von Bürgerrechten aufgehoben, zum Beispiel in Tschechien (Link). Die Regierung musste die Ausgangsbeschränkungen und das Ausreiseverbot zurücknehmen.

Die Begründung für die Aufhebung von Grundrechten basiert immer auf dem Infektionsschutzgesetz, das am 25. März vom Bundestag beschlossen und zwei Tage später vom Bundesrat bestätigt wurde. Damit erhält das Bundesgesundheitsministerium das Recht Anordnungen auszusprechen, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Verfassungsrechtler sehen diese Regelung sehr kritisch. Siehe unter anderem den Artikel „Verfassungsrechtler schlagen wegen „schwerwiegender Grundrechtseingriffe“ Alarm“ in Focus Online vom 30. März 2020.

Und es geht weiter. Im Rahmen der Diskussion um die „Corona-App“ präferierte die Bundesregierung bis heute die Variante auf Basis der Pepp-PT-Technologie. Das bedeutet, dass die ermittelten Kontakte zweier Personen zentral auf einem Server gespeichert werden. Der Chaos-Computer-Club (CCC) und weitere Organisationen haben diese Haltung stark kritisiert (Link)

„Diese Entscheidung stößt bei uns zwischenzeitlich auf großes Unverständnis, da gerade dies der problematischste unter den vorliegenden Entwürfen ist“, heißt es in dem Brief. Denn die zentral gespeicherten Daten könnten, auch wenn sie pseudonymisiert gespeichert werden, leicht de-anonymisiert und zurückverfolgt werden. „Jedem Ansatz eines möglichen Missbrauchs von Gesundheitsdaten muss entschieden entgegengetreten werden.“

https://netzpolitik.org/2020/ccc-warnt-bundesregierung-vor-zentralistischer-corona-app-covid19-contact-tracing-pepppt-dp3t/

Interessant ist, wie die Regierung argumentiert. Jens Spahn sagte im ZDF Morgenmagazin (Videolink) „Dieser Grundglaube daran, dass Daten bei Apple und Google besser aufgehoben sind, bei amerikanischen Großkonzernen besser geschützt sind, als Daten, die auf staatlichen Servern in Deutschland besser geschützt sind, diesen Glauben verstehe ich manchmal nicht“.

Die Regierungssprecherin Ulrike Demmer sagte: „Bei einem zentralen App-System müsse man einer staatlichen Stelle vertrauen. Bei einem dezentralen System müssen Sie Apple und Google vertrauen“ (Link).

Entweder wird hier bewusst mit den Ängsten der Bevölkerung vor einer Überwachung der amerikanischen Unternehmen gespielt um die eigene Agenda zu verfolgen oder es ist einfach nur Unwissen (beide Varianten sind dramatisch). Tatsache ist, dass bei der dezentralen Variante die Daten nicht bei Apple und Google liegen, sondern ausschließlich auf den Smartphones der Nutzer.

Wir sollten gerade nach der Entwicklung der letzten Wochen sehr wachsam sein und unserer Regierung, ganz im Sinne der Mütter und Väter des Grundgesetzes, kein unbegrenztes Vertrauen entgegenbringen.